Burn-Out. Jede:r kennt es, aber niemand hat es. „So was kann mir nicht passieren!“ – ein Satz, der immer wieder fällt. Und dennoch steigen die Zahlen und damit auch die Aufmerksamkeit, die das Krankheitsbild bekommt.
„Burn-Out“ zu Deutsch „ausbrennen“ bezeichnet die Gefühle von Erschöpfung und Überforderung, welche durch ein andauerndes viel zu hohes Stress-Level hervorgerufen werden. Der US-amerikanische Psychotherapeut Herbert Freudenberger prägte diesen Begriff in den 1970er Jahren als er an sich selbst die Symptome der chronischen Erschöpfung und Antriebslosigkeit beobachtete. Ich habe mit einer Betroffenen gesprochen, die uns ehrlich daran teilhaben lässt, wie es ihr ergangen ist.
Burn-Out nur eine Modekrankheit?
Diese Aussage hielt sich wacker über einen sehr langen Zeitraum. Doch auch Skeptiker:innen sollten mittlerweile erkannt haben, dass man dieses Syndrom nicht bloß durch einen Kurzurlaub bekämpfen kann. Allein im Jahr 2019 zählte die AOK auf 1.000 Versicherte 5,9 Arbeitsunfähigkeitsfälle mit der Diagnose Burn-Out – Tendenz steigend. Bislang hatte Burn-Out noch nicht mal eine eigene Diagnosegruppe. Das Syndrom wurde bisher als „Probleme in Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ zusammengefasst. Erst jetzt im Jahr 2022 bekommt das Burn-Out-Syndrom einen eigenständigen Diagnose-Code.
Wie definiert sich Burn-Out?
Der Frage nach der Definition stellen sich weiterhin viele Fachmenschen und dennoch gibt es keine einheitliche Begriffsklärung. Das kann vor allem daran liegen, dass sich Burn-Out bei allen Erkrankten anders äußert. Lediglich der Auslöser bleibt gleich: Stress.
Ich möchte an dieser Stelle hinter die Kulissen blicken und habe mit einer Betroffenen gesprochen, die mir wirklich offen Rede und Antwort stand und ihr Erlebtes mit uns allen teilt.
Allein im Jahr 2019 zählte die AOK auf 1.000 Versicherte 5,9 Arbeitsunfähigkeitsfälle mit der Diagnose Born-Out - Tendenz steigend.
Das Interview
Jule ist 28 Jahre alt. Aktuell schreibt sie ihren Master und arbeitet im Social Media Bereich. Vielleicht kennen einige von euch ihren Instagram-Account @incredible_julk, falls nicht, schaut gerne mal vorbei, denn auch hier spricht sie über Dinge, die sie bewegen und beschäftigen.
Wie viele andere dachte Jule, dass ihr so etwas wie ein Burn-Out niemals passieren könnte. Warum auch? War nicht bislang immer alles easy und entspannt gewesen? 2017 begann sie im Bereich Social Media zu arbeiten. Ein Job, der ihr Spaß machte und in dem sie aufging. So sehr, dass sie nicht merkte, wie sie sich mehr und mehr überarbeitete. 24/7 erreichbar, Job Notifications auf dem Privat-Handy, wodurch sie immer wieder aus der Freizeit herausgezogen wurde und keine Ruhe. Die Zeit beschreibt Jule wie folgt:
„2018 war ich dann komplett lahmgelegt. Ich kann mich an vieles, was in diesem Jahr passiert ist, auch gar nicht mehr erinnern. Eigentlich bin ich auch echt selten krank, in diesem Jahr war ich dauernd krank. Ich habe mich jeden Tag einfach nur zur Arbeit geschleppt und bin abends todesfertig wieder ins Bett gefallen, habe ständig geheult und ich glaube, hätte ich nicht mit jemandem zusammengewohnt, hätte ich gar nichts mehr auf die Reihe bekommen. Mein damaliger Freund hat alles übernommen, kochen, Haushalt, einfach alles. Als ich mich dann noch mal bei ihm dafür bedankte, sagte er, er habe das gar nicht so wahrgenommen. Für ihn war es normal, mich zu unterstützen, für mich eine riesige Hilfe. Mein ganzes Leben war in dieser Zeit von Breakdowns geprägt. Ich habe meine Mutter heulend angerufen und die wusste gar nicht, was los ist.
Mein ganzes Leben war in dieser Zeit nur von Breakdowns geprägt.
Und einen Abend lag ich im Bett und hatte plötzlich totalen Hass auf meine Haare. Ich habe sie dann einfach abgeschnitten. Ich war am Heulen, deshalb wurde es auch komplett schief – das war so ein richtiger Britney-Moment. Mein damaliger Freund war auf einem Konzert und kam erst irgendwann um fünf Uhr morgens nach Hause. Er sah mich heulend auf dem Bett sitzen, mit dieser komischen Frisur und war auch nur so ‚Hey, was ist denn hier los?‘. Am nächsten Tag hat er mir die Haare dann gerade geschnitten. Es waren so komplett irrationale Sachen, die ich gemacht habe. Auch, wenn ich mich mit anderen getroffen habe war ich nur noch eine leere Hülle. Ich konnte gar nicht mehr richtig aufnehmen, was sie mir eigentlich erzählten.“
Und einen Abend lag ich im Bett und hatte plötzlich totalen Hass auf meine Haare. Ich habe sie dann einfach abgeschnitten. Ich war am Heulen, deshalb wurde es komplett schief - das war so ein richtiger Britney-Moment.
Zusätzlich zu den Erkrankungen wie einer Zyste im Unterleib resultierend aus einer Gürtelrose am Rücken, Gleichgewichtsstörungen, die sie drei Tage ans Bett fesselten und dauerhafter Erkältung, schlichen sich auch Angst- und Panikattacken in ihren Alltag. Die Ursachen für diese Symptome suchte Jule zunächst nicht in Ihrem Job:
„Ich bin 2017 frisch nach Berlin gezogen und auch ziemlich empfindlich, was Reize und Geräusche angeht, die Erschöpfung habe ich dann darauf geschoben, dass ich dachte, Berlin sei einfach zu viel für mich. Das hat ja auch gepasst. Irgendwann habe ich mich nicht mehr getraut, die Wohnung zu verlassen. Bei jeder Benachrichtigung, die auf mein Handy kam, privat oder geschäftlich, bekam ich Herzrasen. Nach zwei Monaten habe ich dann gecheckt, dass es vielleicht nicht an Berlin, sondern an der Arbeit liegt und gut ein Jahr brauchte ich, um zu begreifen, dass die ganzen Zeichen, die mir mein Körper gesendet hat, damit zusammenhingen.“
Zusammen mit ihrem Arzt, der ihr nach einem gründlichen Check-up sagte, dass sie physisch gesund sei, erkannte Jule, nachdem sie dem Arzt ihren Lebensstil der letzten zwei Jahre schilderte, wo der Fehler zu liegen schien. Der erste Punkt auf dem Weg zur Genesung bedeutete also den Job kündigen:
„Ich hatte vorher noch nie so eine Situation. Es hat schon lange gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich meinen Job kündigen muss. […] Eine Kündigung ist ja auch immer eine sehr konfrontative Situation. Man weiß nicht, wie der:die andere reagiert und wenn man gerade so schafft das Bett zu verlassen, dann hat man auch nicht unbedingt die Kraft sich einen neuen Job zu suchen. Ich habe dann wirklich heulend vor meiner damaligen Chefin gesessen, mich auch noch dafür entschuldigt, dass ich heule und habe ihr gesagt, dass ich das nicht mehr kann. An dem Tag hat es sich angefühlt als hätte ich 1000 Gewichte von meinen Schultern genommen.“
An dem Tag hat es sich angefühlt als hätte ich 1.000 Gewichte von meinen Schultern genommen.
Jule hat es nicht nur geschafft, für sich zu erkennen, was sie tun muss, sie musste es zu dem auch noch alleine schaffen ohne professionelle Unterstützung:
„Ich habe zwischendurch mal versucht, mir therapeutische Hilfe zu suchen, in Berlin ist das aber leider fast unmöglich. Ich weiß nicht, wie Menschen das schaffen, die ein akutes Problem haben. Ich würde auch sagen, dass es mir aktuell mental recht gut geht und ich habe es jetzt auch nochmal versucht und dennoch finde ich es unglaublich schwierig. Ich habe damals dann probiert, mehr auf mich zu hören und mich viel mit dem Thema Achtsamkeit auseinandergesetzt. Dennoch hatte ich auch bestimmt noch ein Jahr lang immer wieder dolle Panikattacken und kam zum Teil auf Nachrichten auf meinem Handy nicht klar. Es hat dann so ungefähr eineinhalb Jahre gebraucht, bis ich sagen würde ‚Ok, jetzt bin ich wieder auf null und habe alles abgelegt.‘. Es wäre mit professioneller Hilfe sicherlich schneller gegangen aber mit der Unterstützung meiner Freunde und Freundinnen habe ich es glücklicherweise auch so geschafft.“
Auch wenn Jule jetzt wieder stabil ist und es ihr gut geht, gesteht sie selbst, dass es keinen Garant dafür gibt, dass ihr so etwas nicht nochmal passieren kann:
„Auch wenn das jetzt vielleicht scheiße klingt und es besser gewesen wäre, wenn mir das nicht passiert wäre, kann ich daraus auch etwas Positives ziehen. Ich habe für mich viel daraus gelernt und setze Grenzen besser. Bei meinem neuen Job habe ich direkt gesagt, dass ich nichts ohne Arbeitshandy mache und auch an den Wochenenden oder außerhalb meiner Arbeitszeit nichts poste. Dennoch merke ich, wie ich manchmal zurück in alte Muster verfalle, mir selbst keine Pause gönne oder meine Tage so vollstopfe, dass ich noch nicht mal Zeit zum Essen habe. In diesen Situationen schreiten dann auch meine Freunde und Freundinnen ein und sagen ‚Stopp!‘. Sie sind sehr ehrlich mit mir und dafür bin ich dankbar. Mittlerweile habe ich es so geregelt, dass ich einen Tag in der Woche frei habe, an dem ich nichts mache.“
Dennoch merke ich, wie ich manchmal zurück in alte Muster verfalle, mir selbst keine Pause gönne oder meine Tage so vollstopfe, dass ich noch nicht mal Zeit zum Essen habe.
Man merkte in diesem Gespräch, welche persönliche Veränderung Jule in dieser Zeit durchgemacht hat. Dennoch liegt die Hauptursache dieser Erkrankung in der Gesellschaft. Und auch hier bezieht sie eine klare Position:
„Es ist ja generell so, dass psychische Probleme in der Gesellschaft oft kleingeredet werden und da ein viel größeres Bewusstsein für geschaffen werden sollte. Würden wir mehr über dieses Thema reden, dann würden viel mehr Menschen realisieren, dass sie vielleicht selbst überarbeitet sind. Es ist allerdings immer noch so ein Ding, dass Leute stolz darauf sind, überarbeitet zu sein. Wir sollten dieses ganze gesellschaftliche Bild der Arbeit überdenken und revolutionieren. Das strukturelle Konzept der 40-Stunden-Woche ist auch einfach nicht mehr zeitgemäß. Das hat vielleicht früher funktioniert, als eine Person zu Hause geblieben ist, sich um Familie und Haushalt gekümmert hat und eine ist arbeiten gegangen. Heutzutage gehen alle 40 Stunden arbeiten, machen Überstunden, kommen nach Hause, machen den Haushalt, Samstag einkaufen und dann hast du noch einen Tag frei. Die Menschen brauchen mehr Freizeit und es müsste sich so viel ändern. Der Mindestlohn muss angehoben werden. Wenn Menschen 40 Stunden arbeiten und dann gerade mal auf 1.500 Euro netto kommen, wenn sie Glück haben, ist das ein Unding. Was will man sich davon noch leisten, wenn ein WG-Zimmer in Berlin schon 600 Euro kostet? Ich denke, dass Einzige, was uns aus der Überarbeitung rausholen kann ist die Anpassung des Konstruktes ‚Arbeit‘ an die heutige Zeit. Wir leben nicht mehr in den Fünfzigern.“
Es ist allerdings immer noch so ein Ding, dass Leute stolz darauf sind, überarbeitet zu sein. Wir sollten dieses ganze gesellschaftliche Bild der Arbeit überdenken und revolutionieren. Das strukturelle Konzept der 40-Stunden-Woche ist auch einfach nicht mehr zeitgemäß.
Am Ende dieses spannenden und aufschlussreichen Gesprächs möchten wir noch einen Blick in die Zukunft wagen und was sich Jule für ihre Persönliche und Allgemeine wünscht:
„Für mich persönlich wünsche ich mir, dass ich nicht mehr Vollzeit arbeite, vielleicht ein Teilzeit-Job. Zumindest so ein Job, wo man weiß, da geht man gerne hin oder es ist okay dahinzugehen, ich verdiene in Ordnung Geld und es macht mich einfach nicht fertig. Weder körperlich noch geistig. Und für die Gesellschaft wäre es wohl das Beste, den Kapitalismus abzuschaffen. Das wäre, glaube ich, sehr gut für die Arbeitswelt, die Umwelt, einfach alles. Da das aber wahrscheinlich in den nächsten 100 Jahren nicht passieren wird, sollten wir die Arbeitswelt neu denken und die Arbeitsbedingungen strukturell verbessern. Eine Vier-Tage-Woche oder kürzere Tage, so was wie ein Grundeinkommen, einen erhöhten Mindestlohn und einiges mehr. Ich meine, wir kennen die Probleme. Das ist ja auch nicht nur in der Arbeitswelt so. So ist es auch mit dem Klima oder der Gender-Diskriminierung – wir kennen die Probleme, aber es tut sich einfach nichts. Und genau da muss auch richtig viel politisch passieren, ansonsten werden nicht nur die Zahlen von Burn-Out immer weiter steigen.“
Schlusswort
Wir bedanken uns bei Jule für dieses unglaublich aufschlussreiche und interessante Interview. Das war der Beginn unserer Interviewreihe. Wenn ihr auch Teil werden wollt, dann schreibt uns gerne eine E-Mail an offizielles-stoersignal@gmx.de mit eurem Namen, Alter und dem Thema, über das ihr gerne sprechen möchtet.
Solltest du langanhaltend antriebslos sein, negative Gedanken haben und keinen Ausweg aus deiner Krise sehen, ist professionelle Hilfe der beste Weg, um den passenden Kurs für dich zu finden. Folgend die Kontaktdaten für seelische Fürsorge:
Telefonseelsorge www.telefonseelsorge.de anonyme, kostenlose Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit unter den bundesweiten Telefonnummern: 0800 - 1110111 oder 0800 - 1110222
Kinder- und Jugendtelefon „Nummer gegen Kummer“ www.nummergegenkummer.de kostenlose Beratung von Mo bis Fr 15:00 bis 19:00 Uhr unter der bundesweiten Telefonnummer: 0800 - 111 0 333
Berliner Krisendienst www.berliner-krisendienst.de Telefonnummer: 030 39063
Deutsche Depressionshilfe www.deutsche-depressionshilfe.de Info-Telefon Depression: 0800 / 33 44 533 Mo, Di, Do: 13:00 – 17:00 Uhr Mi, Fr: 08:30 – 12:30 Uhr
Ein wirklich aufschlussreicher und ehrlicher Bericht. Immer interessante Themen…👍 Weiter so!!!